LEIVTEC XV 3 – Toleranzabzug von 3 km/h reicht nicht immer.

In der vergangenen Woche war es mal wieder soweit. Am vierten sogenannten „Blitzermarathon“ beteiligten sich in der Bundesrepublik neun Bundesländer. Dabei kamen erneut die „üblichen Verdächtigen“ zum Einsatz; die sogenannten standardisierten Messverfahren. Es handelt sich dabei um Messverfahren, denen die Rechtsprechung so sehr vertraut, dass die damit gewonnenen Ergebnisse durch die Gerichte kaum noch überprüft werden. Um so wichtiger ist es, dass sich qualifizierte Verteidiger damit beschäftigen. 

Ohne gewissenhafte und sorgfältige anwaltliche Tätigkeit wäre es in einem vor kurzem beim Amtsgericht Zeits anhängigen Verfahren womöglich nicht aufgefallen, dass das zur Verbindung von Rechnereinheit und Bedieneinheit verwendete Kabel länger als drei Meter war. Das ist aber in der Gebrauchsanweisung des Herstellers, auf deren Grundlage die innerstaatliche Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) erfolgt war, nicht vorgesehen. Die Angabe der Messbeamten im Messprotokoll, sie hätten das LEIVTEC XV 3 nach den Vorgaben der Gebrauchsanweisung bedient, war damit widerlegt.

Das Amtsgericht Zeits musste einräumen, was sonst immer wieder in Abrede gestellt wird; nämlich dass es womöglich doch auf die Länge ankommt. Im Falle des Kabels zwischen Rechnereinheit und Bedieneinheit des LEIVTEC XV 3 sollte länger jedenfalls nicht besser sein; ganz im Gegenteil. Das Gericht hat das Ergebnis der Messung zwar nicht gänzlich verworfen. Der übliche Toleranzabzug von 3 km/h sollte nach Auffassung des Gerichts aber nicht mehr ausreichen. Stattdessen nahm das Gericht einen Abzug von immerhin 16 km/h, was 20% der gemessenen Geschwindigkeit entspricht, vor.

Was Richter so alles übel nehmen.

Unser Strafrecht lässt dem Richter bei der Bemessung einer zu verhängenden Strafe einen weiten Spielraum. Sofern nicht ein Mord abzuurteilen ist, sieht das Gesetz für die Ahndung von Straftaten sogenannte Strafrahmen vor. Innerhalb dieser Rahmen hat das Gericht die angemessene Strafe zu finden. Dazu müssen die Strafrichter ausgehend von der Schuld des Täters alle für und gegen ihn sprechenden Umstände gegeneinander abwägen. Auf welche Ideen sie dabei bisweilen kommen, ist kaum zu glauben, aber wahr.

Einigen wird die Geschichte sogar bekannt vorkommen. Da ist nämlich zunächst einmal die Rede von einem Fußballverein, den wir mal B. e.V. nennen wollen. Besagter Verein hatte einen Präsidenten, den Herrn H. Dieser war wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Es soll nun aber gar nicht um die Freiheitsstrafe gehen, die das Landgericht München gegen Herrn H. verhängt hat. Darüber ist schon viel, vermutlich sogar alles geschrieben und gesagt worden. Stattdessen geht es hier um das Urteil gegen einen anderen Herren. Der soll der besseren Übersicht wegen E. heißen. E. hat viel von dem, was da in den Medien über das Strafverfahren gegen Herrn H. und die gegen ihn verhängte Strafe verbreitet worden war, gehört, gesehen und gelesen. „Ungerecht“, dachte sich besagter Herr E. Und dass die Strafe für Herrn H. viel zu milde ausgefallen sei. Dieser H. sei überhaupt viel zu gut weggekommen.

Und wohl deshalb stellte sich bei dem späteren Angeklagten E. die Vorstellung ein, dass er die von ihm als ungerecht empfundenen Verhältnisse ins rechte Lot rücken könnte, wenn es ihm gelänge, den H. um etwas von dem ihm verbliebenen Geld zu erleichteren. Dies sollte durch eine Erpressung geschehen. Unter dem Pseudonym „MisterX“ schrieb er dem H., der bereits seine Ladung zum Haftantritt bekommen hatte und seiner Zeit im Gefängnis entgegen sah. In dem Erpresserschreiben schilderte der E. aus eigener Erfahrung das Leben in einer Justizvollzugsanstalt und stellte dem H. in Aussicht, auf den Vollzug seiner Freiheitsstrafe Einfluss nehmen zu können. H. war davon überzeugt, dass die Gestaltung seines Haftlebens maßgeblich von E. und dessen Willen abhängig sein würde. Besorgt darüber, was ihm alles passieren könnte, sollte H. 215.000,- € zahlen. Der ging aber nur zum Schein auf die Forderung des Erpressers ein. Bei der verabredeten Geldübergabe wurde E. festgenommen.

Dass das Landgericht München II den E. wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe verurteilte, vermag nicht zu überraschen. Hingegen ist die Virtuosität, mit der das Gericht die Strafhöhe von drei Jahren und neun Monaten begründet hat, bemerkenswert. Die Richter haben es dem E. als Beleg für seine gesteigerte kriminelle Energie besonders angekreidet, dass er bewusst darauf verzichtet hat, die Datei mit dem Erpresserschreiben auf seinem PC zu speichern, um so ein Auffinden derselben durch die Polizei zu erschweren. Desweiteren wussten sich die Richter darüber zu ereifern, dass der Täter durch das Tragen von Handschuhen das Aufbringen von Fingerabdruckspuren vermieden hatte. Und schließlich wollten sie ihm nicht nachsehen, dass der E. im Schreiben an den H. anonym geblieben war. All diese Umstände mussten nach Aufassung des Landgerichts zu Lasten des Angeklagten bewertet werden und führten letztendlich sogar zu einer höheren Strafe.

Die ganze Absurdität solcher Urteilsbegründungen zeigt sich dem Betrachter, der sich vor Augen führt, welches Verhalten der Erpresser wohl hätte an den Tag legen müssen, um eine Strafschärfung zu vermeiden. Er hätte alles unterlassen müssen, was seine Ergreifung erschweren konnte. Mehr noch. E. hätte auf sich als Täter hindeutende Hinweise schaffen müssen, um einer Strafschärfung zu entgehen. Ein Erpresserschreiben unter eigenem Namen und Nennung der Wohnanschrift, das war es wohl, was den Richtern der beim Landgericht München II zuständigen Kammer so vorschwebte. Wie falsch sie damit lagen, hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer seiner Entscheidungen aus dem Mai dieses Jahres in dankenswerter Klarheit verdeutlicht: „Dem Angeklagten darf aber nicht straferschwerend zur Last gelegt werden, er habe den Ermittlungsbehörden seine Überführung nicht erleichtert, indem er keine auf ihn hindeutenden Hinweise geschaffen habe ( … ). Dies wäre aber der Fall, wenn man einem Erpresser anlastet, er trete nicht unter seinem Namen, sondern anonym auf, und er habe ein Erpresserschreiben nicht abgespeichert, sondern ohne Speicherung auf seinem Computer erstellt.“ Was so alles einer Erklärung bedarf.

„Ich könnte kotzen.“

Könnte könnte nicht reichen. Man müsste schon müssen; also kotzen. Dass dann auch wirklich gekotzt wird, ist nicht unbedingt erforderlich, wenn ein Strafrichter zu einem Schuldspruch wegen Körperverletzung gelangen soll – oder sollte. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) im August dieses Jahres noch einmal klargestellt.

Anlass für diese Klarstellung bot der Fall eines Kriminalbeamten, der nach einem Angriff auf seine Ehre starke Ekelgefühle und Brechreiz empfunden hatte. Das Ungemach rührte nicht etwa von der Beschimpfung durch den späteren Angeklagten als „Arschloch“ und „Wichser“ her. Eklig wurde es für den Kriminalhauptkommissar erst, als ihm das polizeiliche Gegenüber ins Gesicht spuckte. Die Vorinstanz verurteilte den Angeklagten nicht nur wegen Beleidigung sondern auch wegen Körperverletzung. Dem BGH wurde der Fall zur Revision vorgelegt. Dieser zitiert sich gern selbst und brachte so im Rückgriff auf aus dem eigenen Hause stammende Entscheidungen in Erinnerung, dass „eine körperliche Misshandlung jede üble, unangemessene Behandlung bedeutet, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt.“

Und weil die Beeinträchtigung des Wohlbefindens eine Erhebliche sein muss, um von einer Körperverletzung im strafrechtlichen Sinne sprechen zu können, reicht die bloße Erregung von Ekelgefühlen nicht aus. Hingegen kann das Hervorrufen eines Brechreizes den Straftatbestand der Körperverletzung sehr wohl erfüllen. Womit einmal mehr belegt ist, dass die Grenzen im Strafrecht zwischen Freispruch und Schuldspruch bisweilen sehr dünn sind. Und gelegentlich kommt ihre Fragilität im Vergleich von Aussagen zum Ausdruck wie „Ich fand es so ekelig; ich hätte mich übergeben können.“ vs. „Mir war so übel; beinahe hätte ich mich übergeben.“ Ist das nicht zum …?

Beamte wollen nicht nur erfolgreich verteidigt sondern auch gut versorgt sein.

Meine Mutter war eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm. In den Straßen Berlins groß geworden, war ihr eine klare, unmissverständliche Ausdrucksweise eigen. Von ihr erfuhr ich, dass es an einer Holzkiste nichts zu löten gibt. Und wenn etwas sein Ende gefunden hatte und nicht mehr zu ändern war, dann war es oft der Satz „Klappe zu, Affe tot.“, der vor meinem inneren Auge den Berliner Zoo auftauchen und mich mit der Frage ratlos zurück ließ, weshalb nun ausgerechnet ein Bewohner des Primatenhauses dran glauben musste. Die Geschichte, die mir jüngst von einem verzweifelten, mich um Rat bittenden Mandanten berichtet wurde, hätte sie vermutlich mit „Operation gelungen, Patient tot“ kommentiert. 

Es ist die Geschichte eines Pensionärs. Ein älterer Herr mit weißer Weste, der sich noch nie etwas hatte zu Schulden kommen lassen. Bis es dann kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis zu einigen Unregelmäßigkeiten gekommen sein soll. Er wird angeklagt. Noch bevor es in die Hauptverhandlung geht, sucht sein damaliger Verteidiger das Gespräch mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft. Seinem Mandanten hatte er einen Deal in Aussicht gestellt. Oder wie es heute in der Strafprozessordnung (StPO) heißt: eine Verständigung.

Dem Ruheständler hatte die Vorstellung von einer kurzen Verhandlung, die ihn nervlich nicht so arg belasten würde, gut gefallen. Also kein Bestreiten, keinen Konflikt mit Staatsanwaltschaft und Gericht. Der Peinlichkeit, die mit der Vernehmung von Zeugen einhergehen würde, könnte man aus dem Weg gehen. Der angeklagte Pensionär müsste nur alles eingestehen, was in der Anklageschrift über ihn behauptet wird. Auch wenn es nicht alles genau so gewesen war, und er sich längst nicht alles hatte zu Schulden kommen lassen , wie es vom Staatsanwalt behauptet wurde. Dafür würde es aber schnell gehen, und er könnte den Verhandlungssaal nach kurzem Prozess bald wieder verlassen.

Der Preis, den der Angeklagte dafür zahlen sollte, schien ihm günstig zu sein. Ein Jahr Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Dass der Preis tatsächlich sehr viel höher war, ahnte der Ruhestandsbeamte nicht. Zum Verhängnis wurde ihm, dass es auch seinem Verteidiger an jeglicher Ahnung hinsichtlich der Risiken eines solchen Deals mangelte. Zumindest das Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) war dem damaligen Rechtsanwalt meines Mandanten wohl unbekannt. Besagtes Gesetz sieht vor, dass ein Pensionär im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung unter bestimmten Voraussetzungen automatisch seine Rechte als Ruhestandsbeamter verliert. Also seine Ansprüche auf die Bezüge als Ruheständler. Besagte Voraussetzungen sind schnell aufgezählt. Die abgeurteilte Tat muss noch während der Dienstzeit begangen worden sein, und das Gericht erkennt auf mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe (§ 41 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz). So wie in diesem Fall.

Operation gelungen; das Strafverfahren wurde ohne großes Aufsehen sehr schnell über die Bühne gebracht. Patient – nein, nicht tot. Aber arm. Zum Glück für den Mandanten, war das nicht der einzige Fehler, der in diesem Verfahren gemacht wurde. Womöglich ist ja noch nicht Klappe zu, Affe tot.

 

Richter, Telefon!

In der Variante „Schiedsrichter, Telefon!“ ist der Hinweis auf ein angeblich entgegenzunehmendes Telefonat vom Fußball her bekannt. Schlechte Leistungen des Unparteiischen werden damit kommentiert. Seine Entscheidungen mögen als den Gegner begünstigend oder als mit dem Regelwerk nicht im Einklang stehend wahrgenommen werden. Jedenfalls sollte der Schiedsrichter keinen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Spiels nehmen können. In dieser Überzeugung geeinte Fans lassen dann schon mal vielstimmig den Ruf erklingen, der dem Referee dazu Anlass geben soll, das Spielfeld zu verlassen und sich anderen Verrichtungen zuzuwenden, nämlich dem Telefonieren. Aber wie bringt man als Verfahrensbeteiligter in einem Strafverfahren seinen Unmut über die Leistungen eines Richters zum Ausdruck? Richter, Telefon? Und wie sich verhalten, wenn er das längst tut? Telefonieren – während laufender Verhandlung.

Etwa wie eine Richterin des Landgerichts Frankfurt/Main, mit deren Verhalten sich der Bundesgerichtshof (BGH) vor wenigen Wochen zu befassen hatte. Diese hatte zwar kein Telefonat geführt aber immerhin doch Kurznachrichten entgegengenommen und beantwortet. Zur selben Zeit wurde vor der Strafkammer, der die Richterin angehört, ein Zeuge vernommen. Dabei ging es für die Angeklagten um Einiges. Sie wurden später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Was sollten die Angeklagten und ihre Verteidiger von diesem Verhalten der Richterin halten? War sie womöglich an der Beweisaufnahme nicht interessiert? Hatte sie sich bereits ein abschließendes Bild von der Schuld der Angeklagten gemacht, noch bevor überhaupt alle Zeugen vernommen worden waren. Kam es der Richterin auf das, was die Vernehmung des Zeugen noch zu Tage fördern konnte, gar nicht an? Stand für sie das Urteil schon längst fest?

Besorgt darüber, dass die Richterin ihnen nicht mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit begegnen würde, lehnten die Angeklagten die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesuch wurde durch die Kollegen der abgelehnten Richterin zurückgewiesen. Die sei doch gar nicht richtig abgelenkt gewesen. Die Betreuung ihrer Kinder habe organisiert werden müssen. Das habe aber nur wenige Sekunden in Anspruch genommen. So hat sie es jedenfalls selbst dargestellt, während die Angeklagten und ihre Verteidiger von zehn Minuten sprachen. Die Richterin wurde nicht ausgewechselt und wirkte am Urteil gegen die Angeklagten mit.

Gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt. Die Verteidigung begründete das Rechtsmittel unter anderem damit, dass die Richterin, die während der Hauptverhandlung ihren privaten Angelegenheiten nachgegangen war, zu recht abgelehnt worden ist. Sie hätte an der Urteilsfindung gar nicht mehr teilnehmen dürfen.

Das sah der BGH ganz genau so. Die Angeklagten durften erwarten, dass die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Richterin ihrer beruflichen Tätigkeit in Gestalt der Durchführung der Beweisaufnahme gilt. Darauf, ob ihre Aufmerksamkeit tatsächlich eingeschränkt war, kommt es ganz und gar nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass die Richterin zu erkennen gegeben hat, privaten Verrichtungen Vorrang vor ihren dienstlichen Pflichten einzuräumen. Dies ist mit der hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt schlicht unvereinbar. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Frankfurt/Main zurückverwiesen.

Ende gut alles gut? Ich meine nicht. Die Kammer, der die Richterin angehört, ist eine Jugendkammer. Es wurde in einer Jugendstrafsache verhandelt. Bei den Angeklagten handelt es sich um zur Tatzeit Jugendliche oder Heranwachsende. Das Jugendstrafrecht findet Anwendung. Im Mittelpunkt des Jugendstrafrechts steht der Erziehungsgedanke. In Strafverfahren, die sich gegen Jugendliche und Heranwachsende richten, wird häufig die Frage laut, ob mangelnde Achtung und mangelnder Respekt vor fremden Rechtsgütern die Begehung der Straftat begünstigt haben. Respekt und Achtung vor den Rechten der Anderen zu vermitteln, könnte Aufgabe eines Jugendstrafverfahrens sein. Mit einer Jugendrichterin, die sich stattdessen für die Angeklagten erkennbar mit ihrem Handy beschäftigt, dürfte diese Chance vertan sein.

 

 

Guter Rat ist teuer. Und macht verdächtig?

Dem Volksmund werden einige mehr oder minder kluge Überzeugungen zugeschrieben. So jene, dass guter Rat teuer sei. Darin mag die Erfahrung zum Ausdruck gebracht werden, dass hilfreicher Rat nur selten zu erlangen ist. Dabei hält der Volksmund solcherlei Ratschläge selbst vorrätig. Wie den, wonach das Schweigen dem Reden grundsätzlich vorzuziehen sei: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Macht sich in den Augen unserer Justiz verdächtig, wer derlei Rat erteilt? Jedenfalls, wenn es nach der Ansicht eines Ermittlungsrichters aus Schleswig-Holstein ginge, sollte der Volksmund künftig lieber schweigen. 

Die Geschichte, die Anlass zu solchen Betrachtungen gibt, ist schnell erzählt: Eine der Filialen eines Einzelhändlers war überfallen worden. Ausgerechnet V, bei dem es sich um einen der Auszubildenden in der Filiale handelte, geriet ins Visier der Ermittler. Gegen ihn richtete sich als bald der Verdacht, an dem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein. So fiel die Entscheidung, die Wohnung des V zu durchsuchen.  Gefunden wurde nichts. Jedenfalls nichts, was den gegen V bestehenden Verdacht erhärtet hätte. Denn V blieb auf freiem Fuß. Von der Durchsuchung bei V hatte dessen Chef erfahren; der Filialleiter. Nennen wir ihn F. Ihn rührte wohl das Schicksal seines Auszubildenden. Deshalb rief er V an. In dem Telefonat riet er seinem Auszubildenden, gegenüber der Polizei besser keine Angaben zu machen. Ein Ratschlag, der den V zwar nichts gekostet haben wird, aber dennoch wertvoll gewesen sein mag. Also im Sinne des Volksmunds teuer war. Für die Polizei, die vom Inhalt des zwischen Filialleiter und Auszubildenden geführten Ferngesprächs erfahren hatte, war der Rat schlicht verdächtig.

Und so sah es auch der zuständige Staatsanwalt, der sogleich beim Ermittlungsrichter den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragte. Diesmal allerdings gegen den Filialleiter als Beschuldigten. Gegen diesen bestehe zumindest der Anfangsverdacht an dem Raubüberfall auf seine Filiale beteiligt gewesen zu sein. Denn immerhin hatte er einer anderen von der Polizei als verdächtig eingeschätzten Person – dem V – den Rat erteilt, bei der Polizei besser keine Angaben zu machen. Dass er dem V damit nicht mehr empfohlen hatte, als von seinem Recht Gebrauch zu machen, dass dem V als Beschuldigten gesetzlich zustand, beeindruckte auch den Ermittlungsrichter nicht weiter. Auch in seinen Augen hatte sich F allein dadurch des Verdachts ausgesetzt, mit dem Beschuldigten V unter einer Decke zu stecken, indem er ihm geraten hatte, von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen. Und so ordnete der Ermittlungsrichter aus Schleswig-Holstein die Durchsuchung der Wohnung des F an, die dann auch prompt durchgeführt wurde.

Es bedurfte wieder einmal der Anrufens höherer Instanzen, um Ermittlern, Richtern und Vollstreckern Examenswissen ins Gedächtnis zu rufen. Mindestvoraussetzung für eine Durchsuchung nach § 102 StPO ist, dass ein Beschuldigter betroffen ist. Beschuldigter in einem Strafverfahren kann nur eine Person sein, gegen die sich zumindest ein Anfangsverdacht richtet. Das Gesetz spricht von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten. Als zureichend sind nur solche Anhaltspunkte zu behandeln, die von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Tatbeteiligung ausgehen lassen. Umstände und Tatsachen, die sich in verschiedene Richtungen deuten lassen, sprechen gerade nicht für eine solche Wahrscheinlichkeit. So der Ratschlag, gegenüber der Polizei keine Angaben zu machen. Für eine solche Empfehlung kann es viele, ganz unterschiedliche Gründe geben. Und deshalb können aus einem solchen Verhalten auch nur vage Vermutungen hergeleitet werden; aber eben keine für einen Anfangsverdacht zureichenden Anhaltspunkte. Das Landgericht Kiel musste das dem Ermittlungsrichter erklären. Bedauerlicherweise erst nachdem die rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung bereits durchgeführt worden war.

Wer lügt ist schuldig?

Zugegeben. Der Fall, welcher durch eine der Strafkammern des Landgerichts (LG) Aachen zu entscheiden war, hatte es in sich. Auch wenn er auf den ersten Blick gar nicht so vertrackt zu sein schien. Immerhin blieb am Tatort eine Waffe zurück. An der befanden sich Spuren, die auf DNA untersucht werden konnten. Die DNA-Spuren wurden zwei Verursachern (A und B) zugeordnet. Damit hatte die Polizei zwei Tatverdächtige. Hatte sie damit auch den Täter?

Die gerichtliche Klärung dieser Frage gestaltete sich schwierig und überforderte letztendlich die für das Verfahren zuständige Strafkammer des LG Aachen, sodass der Bundesgerichtshof (BGH) einschreiten musste. Die Geschichte nahm ihren Anfang in einem Imbiss. Der spätere Täter bestellte ein Schnitzel. Als sich die Verkäuferin zum Kühlschrank hin und vom Täter abwendete, nutzte dieser die sich ihm damit bietende Gelegenheit, der Verkäuferin ein Messer an den Hals zu setzen und „Kohle raus!“ zu fordern. Ebenso kurz wie eindeutig fiel die Antwort der Verkäuferin aus: „Nö“. Die verbale Abfuhr erfuhr Bekräftigung durch Schläge mit der Küchenzange. Der flüchtende Täter konnte noch ein paar Scheine aus der Kasse schnappen, ließ aber das Messer zurück. Eine der daran gesicherten DNA-Spuren führte zu A. Der nämlich war bei der Polizei nicht unbekannt. So konnte die Kripo auf von ihm stammendes Vergleichsmaterial in der DNA-Datenbank zurückgreifen. Treffer! Sollte man meinen. Doch A kam als Täter für den Überfall auf den Imbiss nicht in Betracht. Er war nämlich tags zuvor wegen einer anderen Straftat festgenommen worden und befand sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf den Imbiss im Polizeigewahrsam.

Aber immerhin konnte A etwas dazu beitragen, wer das aus seiner Wohnung stammende Messer gehabt und damit den Raub begangen haben könnte. So gerieten die Ermittler an B. Die zweite DNA-Spur auf der Tatwaffe konnte ihm zugeordnet werden. Und zwar mit einer biostatistischen Wahrscheinlichkeit von eins zu zehn Milliarden. Der bestritt, mit der Sache etwas zu tun zu haben. Mit der Verkäuferin aus dem Imbiss wurde eine Wahllichtbildvorlage durchgeführt. Die erkannte ihn tatsächlich nicht als Täter wieder. Mehr noch: Sie zeigte auf das Foto einer ganz anderen Person und erklärte, dass es sich mit einer 90%igen Sicherheit bei dieser Person um den Täter handeln würde.

Zwei Tatverdächtige und kein Täter. Weit gefehlt. Jedenfalls aus Sicht der Staatsanwaltschaft. Die ließ sich von den Ergebnissen ihres eigenen Ermittlungsverfahrens nicht so leicht aus der Ruhe bringen und klagte an; nämlich B wegen Raubes. Der bestritt auch weiterhin, irgendetwas mit dem Überfall auf die Imbissverkäufern zu tun zu haben. Doch die Staatsanwaltschaft blieb unbeirrt und die zuständige Strafkammer folgte ihr, indem sie die Anklage zuließ und das Hauptverfahren gegen B eröffnete. Damit gab das Gericht zu erkennen, dass es von einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des bestreitenden B ausging.

In dieser Not suchte B nach ihn entlastenden Umständen. So versuchte er zu erklären, wie seine DNA an die Tatwaffe gelangt sein könnte. In seiner Vernehmung vor Gericht sagte er dazu aus, dass er sich in der Wohnung des A, dem das Messer gehörte, aufgehalten habe. Es seien bei der Gelegenheit Drogen konsumiert worden. Das Messer habe dazu gedient, die Drogen zu zerkleinern. Als es dann rumlag, habe er – B – es auch mal in die Hand genommen. A und seine Gäste wurden dazu vernommen. Es mag nicht überraschen, aber die Geschichte vom Drogenkonsum wollte niemand bestätigen. Und deshalb sah das Gericht Bs Einlassung als widerlegt an. In den Augen des Gerichts hatte er gelogen. Und dieser Umstand war ausschlaggebend für die Überzeugung des Gerichts, dass B der Täter sein musste. Es verurteilte B wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren.

Mit der Frage, ob Spuren auf der Tatwaffe auf weitere Spurenverursacher und damit auf weitere Tatverdächtige schließen lassen, hat sich das Gericht ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe gar nicht erst befasst. Ebenso wenig mit der Möglichkeit, dass das Messer von einem nicht ermittelten Täter benutzt wurde, der gar keine Spuren an der Waffe hinterlassen hat. Das waren der Fehler zu viel. Der BGH hat das Urteil in der Revision aufgehoben.

 

Würden Sie sich für Ihren Rechtsschutz-Versicherer ausziehen?

Wer mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,24 Promille hinter dem Steuer eines Kraftfahrzeugs erwischt wird, hat mit einem Strafverfahren zu rechnen. An dessen Ende warten nicht nur eine Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt und die Entziehung der Fahrerlaubnis sondern darüber hinaus erhebliche finanzielle Belastungen. Es beginnt mit der Blutentnahme und endet mit der Verkündung des Urteils; alles kostet Geld. Und der Verteidiger will für seine Tätigkeit auch bezahlt werden. Da kann die Übernahme der Kosten durch einen Rechtsschutzversicherer schon eine wertvolle Entlastung bedeuten. Doch wer eine Rechtsschutzversicherung abschließt, um sich im Fall der Fälle wenigstens wegen der Kosten keine Sorgen machen zu müssen, könnte enttäuscht werden.

Denn gerade wenn es um Alkohol im Straßenverkehr geht, zahlen die Rechtsschutzversicherer nicht immer. Oder aber – was nicht selten am Ende des Verfahrens noch als weitere böse Überraschung wartet – der Versicherer fordert bereits geleistete Zahlungen vom Versicherungsnehmer zurück. Dazu berufen sich die Rechtsschutzversicherer auf einen Passus in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherungen (ARB): „Rechtsschutz besteht nicht, soweit die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang damit steht, daß der Versicherungsnehmer eine Straftat vorsätzlich begangen hat.“ Vorsätzlich handelt, wer seine infolge des Konsums von Alkohol bestehende Fahruntüchtigkeit kennt und dennoch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt. In solchen Fällen sollte man sich darauf gefasst machen, dass der Rechtsschutzversicherer Kosten für das Verfahren und die Verteidigung nicht übernimmt bzw. bereits erbrachte Leistungen zurückverlangt. Der Unterschied zwischen einer Verurteilung wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Trunkenheitsfahrt macht sich also zumindest in der eigenen Geldbörse bemerkbar.

Nicht zuletzt deshalb wird in strafgerichtlichen Verfahren, in denen es um verkehrsstrafrechtliche Vorwürfe geht, ausgiebig um die Entscheidung des Gerichts gerungen, ob Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegt. Wie in einem im Mai vergangenen Jahres beim Landgericht Berlin anhängigen Verfahren, das unter anderem mit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr sein vorläufiges Ende nahm. Nur vorläufig deshalb, weil der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil ein knappes Jahr später genau wegen dieses Schuldspruchs aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen hat.

Der BGH hat sich daran gestört, dass das Landgericht das auffällige Verhalten des Angeklagten nicht angemessen berücksichtigt hatte. Die vom Landgericht dazu getroffenen Feststellungen seien hinsichtlich der Frage, ob eine fahrlässige oder vorsätzliche Tat vorzuwerfen ist, von einiger Bedeutung. Immerhin hatte sich der Angeklagte nach einer verbal geführten Auseinandersetzung sein Hemd vom Leib gerissen. Und das im Monat April bei einer Außentemperatur von 12 Grad Celsius. Sodann stieg der Angeklagte in sein Auto, beschleunigte dieses auf eine unangepasste Geschwindigkeit, um aus dieser heraus sein Publikum mit einigen so genannten Handbremskehren zu beeindrucken.

Dass die dem Angeklagten danach entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,24 Promille ergab, ist laut BGH zwar ein starkes Indiz dafür, dass der Angeklagte seine erhebliche alkoholische Beeinträchtigung und die daraus resultierende Fahruntüchtigkeit habe erkennen müssen. Aber auch noch so starke Indizien können entkräftet werden. Deshalb hatte es sich das Landgericht nach Auffassung des BGH zu leicht gemacht, als es allein aus der Höhe der BAK darauf schloss, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt habe. Der BGH will sagen: Wer sich bei 12 Grad Celsius die Kleidung vom Leib reißt, bekommt vielleicht auch so manch Anderes nicht mehr mit. Und mit dieser Vermutung mögen die Bundesrichter ja auch richtig liegen. Es bleibt abzuwarten, zu welchem Ergebnis insoweit die nunmehr am Landgericht Berlin zuständige Kammer gelangt. Und es darf darüber nachgedacht  werden, welches Verhalten vor oder nach der Trunkenheitsfahrt wohl ebenfalls dazu geeignet wäre, trotz hoher Promillewerte  Fahrlässigkeit statt Vorsatz annehmen zu lassen. Und ob es tatsächlich ratsam ist, in derartigen Fällen die Verteidigung einem vom Rechtsschutzversicherer empfohlenen Rechtsanwalt anzuvertrauen.

Nachweisbarkeit und Wirkung von Cannabis

„Merkst Du was? Ich spür‘ nichts.“ Begleitet von solchen und ähnlichen Bemerkungen soll schon so mancher Joint in viel Rauch um nichts aufgegangen sein. Die Ursachen dafür, dass die erwartete Wirkung ausblieb, können mannigfaltig sein. Bisweilen ist der Wirkstoffgehalt des Cannabis gering, ein anderes Mal die Dosierung bescheiden. Aber wie ist es mit dem Autofahren, wenn sich nach dem Konsum von Haschisch oder Marihuana keine Wirkung einstellt? Oder die Wirkung längst verflogen zu sein scheint?

Wer dazu das Gesetz befragt, stößt auf § 24a Abs.2 S. 1 u. 2 StVG. Kurz und bündig hat der Gesetzgeber seinen Willen in dieser Frage zum Ausdruck gebracht. Wer unter der Wirkung von Cannabis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, handelt zumindest ordnungswidrig. Die Folgen können sein eine Geldbuße in Höhe von 500,- €, ein Monat Fahrverbot sowie die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde, die in der Regel von der Polizei informiert wird. Aber wann steht denn nun jemand im Sinne des Gesetzes unter der Wirkung von Cannabis? Dies soll objektiv der Fall sein, wenn der Wirkstoff des berauschenden Mittels – das Gesetz spricht von Substanz – im Blut nachgewiesen werden kann. Streng genommen geht es in erster Linie also nicht um die Wirkung der Droge sondern um deren Nachweisbarkeit. Die Grenze dafür liegt derzeit bei einem Nanogramm – also einem Milliardstel Gramm – Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blut.

Man könnte also von einer gesetzlichen Beweisregelung sprechen, die da lautet: Ist Wirkstoff (noch) nachweisbar, wirkt der Stoff auch. Ganz gleich, ob der Konsument meint, eine Wirkung zu spüren oder auch nicht. Aber kann das richtig sein? War es nicht immer so, dass eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit nur und erst dann als solche geahndet werden kann, wenn sich der Tatverdächtige bewusst ist, Unrecht zu tun bzw. die Gefahr, die von seinem pflichtwidrigen Verhalten ausgeht, erkennt? Keine Sorge, das ist auch nach wie vor so. Sollte man jedenfalls meinen, wenn man das Gesetz befragt. Denn auch insofern ist § 24a StVG erfreulich eindeutig. Gemäß Absatz 3 besagter Norm muss der Nachweis erbracht sein, dass sich der Fahrzeugführer hinsichtlich einer möglichen Beeinträchtigung seiner Fahrtauglichkeit nach dem Konsum eines Rauschmittels zumindest fahrlässig verhalten hat. Für den Konsumenten von Cannabis bedeutet dies, dass er sich solange nicht hinter das Steuer setzen darf, solange er mit der Möglichkeit rechnen muss, dass sich das Rauschmittel noch nicht vollständig abgebaut hat.

Dem Oberlandesgericht (OLG) Bremen lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem es genau um diese Möglichkeit ging. Der Betroffene war in eine Verkehrskontrolle geraten. Die Entnahme von Venenblut wurde angeordnet. Die Blutprobe enthielt eine Konzentration an THC in Höhe von 1,0 ng/ml. Gegen den Betroffenen erging ein Bußgeldbescheid, mit dem gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 500,- € festgesetzt wurde. Zusätzlich wurde ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein, so dass es zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht kam. Dieses traf in seinem Urteil die Feststellung, dass der Konsum des Cannabis durch den Betroffenen etwa 24 Stunden vor Fahrtantritt erfolgt war. Gegen das Urteil wurde Rechtsbeschwerde erhoben. Denn immerhin lag doch ein ganzer Tag zwischen dem Joint und der Fahrt. Und zum Zeitpunkt der Blutentnahme war das THC gerade noch so nachweisbar. Unter diesen Umständen hätte der Betroffene mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass sich bei Fahrtantritt immer noch THC in seinem Blut befindet?

Das OLG Bremen meint ja. Es hat entschieden, dass sich ein Konsument von Cannabis erst dann als Kraftfahrer in den Straßenverkehr begeben darf, wenn er sicherstellen kann, den analytischen Grenzwert von 1,0 ng THC je Milliliter Blutserum nicht zu erreichen. „Das erfordert ein ausreichendes – gegebenenfalls mehrtägiges – Warten zwischen letztem Cannabiskonsum und Fahrtantritt.“ So der amtliche Leitsatz der Entscheidung des OLG. Darauf, ob der Betroffene nach 24 Stunden bei sich selbst Anzeichen für Wirkung von Cannabis wahrnimmt, oder ob Dritte eine solche Wirkung bemerken, soll es nach Ansicht der OLG-Richter nicht ankommen.

„Merkst Du was?“; fragt doch heute kein Mensch mehr. Auch nicht das für Rechtsbeschwerden gegen Urteile des Amtsgericht Tiergarten von Berlin in Bußgeldsachen zuständige Kammergericht, das die gleiche Haltung in dieser Frage einnimmt.

„Straftäter in Uniform“

In dubio pro reo. Der sogenannte Zweifelssatz gehört zu den aus der Verfassung abgeleiteten Grundsätzen des Strafverfahrens. Er schreibt dem Richter nicht vor, ob und wann er zu zweifeln hat, sondern wie sich Zweifel auswirken, die trotz aller Anstrengungen, einen Sachverhalt aufzuklären, noch geblieben sind. So wie in diesem Fall zweier prügelnder Polizisten.

Dass zwei Polizeibeamte am 1. Mai vor zwei Jahren gegen zwei Personen Reizgas einsetzten, sie mit Faustschlägen malträtierten und mit Fußtritten nachsetzten, ohne dass es dafür einen „Anlass geschweige denn eine Rechtfertigung“ (Oberstaatsanwalt Knispel) gegeben hatte, steht sowohl für die Staatsanwaltschaft Berlin als auch für das Amtsgericht Tiergarten völlig außer Zweifel. Auch die Einsatzhundertschaft, zu der die Gewalttäter gehören, ist der Justiz bekannt. Und das Gericht hielt es nach durchgeführter Beweisaufnahme auch für wahrscheinlich, dass es die beiden aus dieser Einsatzhundertschaft stammenden Angeklagten waren, die gesprüht, geschlagen und getreten hatten. Denn für sie gilt das Vermummungsverbot nicht. Und welch‘ Wunder, ihre als Zeugen vernommenen Kollegen hatten zur Aufklärung des Falles nichts beizutragen. Vermutlich wäre der Fall nicht einmal zur Anklage und bis vor ein Gericht gelangt, wenn die Polizisten nicht ausgerechnet über einen Kollegen in Zivil hergefallen wären, dessen Angaben, anders als in so manch anderen Fällen, ernst genommen wurden. Aber letztendlich ohne Konsequenz. Denn angesichts der von ihm beschriebenen massiven Gewalt war es ihm nicht möglich, die auf den Rücken der Uniformen zum Zwecke der Identifizierung einzelner Beamter angebrachten Kennziffern abzulesen. Bleibt nur die Hoffnung, dass sich neben dem Zweifelssatz ein allgemeiner Erfahrungssatz etabliert: Wenn Bürger über von Polizisten begangene ungerechtfertigte Gewalttaten berichten, könnte es sich um die Wahrheit handeln.

Zum Invaliden ohne Unfall

Unfallversicherungen werden in der Erwartung abgeschlossen, im Falle einer durch einen Unfall verursachten Invalidität vor den damit einhergehenden finanziellen Risiken geschützt zu sein. Versicherungsnehmer, die sich über die Bedeutung des Begriffs „Unfall“ falsche Vorstellungen machen, könnten im Ernstfall eine bittere Enttäuschung erleben.

So wie der nach einer Hirnblutung linksseitig gelähmte Haustechniker, dessen Klage auf Invaliditätsentschädigung gegen seinen Unfallversicherer jüngst durch das Oberlandesgericht (OLG) Hamm abgewiesen wurde. Die Begründung, auf die der Senat in der Berufungsinstanz seine Entscheidung stützte, stärkt einmal mehr die Versicherungswirtschaft. Es ist zu erwarten, dass Unfallversicherer das Urteil gern auf ähnlich gelagerte Fallkonstellationen anwenden und Versicherungsleistungen versagen werden.

Aber was war passiert? Der Fall ist schnell geschildert. Der Haustechniker eines Schwimmbades hatte schwere, mit Chlor gefüllte Kanister zu tragen. Als Folge der Anstrengung platzten Gefäße im Gehirn des Mannes. Die einsetzende Hirnblutung führte zu einer übermäßigen Kompression des Gehirns, was letztendlich zu einer vollständigen Lähmung der linken Körperhälfte führte. Die daraus resultierende Invalidität ihres Versicherungsnehmers konnte der Unfallversicherer nicht in Abrede stellen. Stattdessen wurde in Zweifel gezogen, dass dem Versicherungsnehmer ein Unfall widerfahren sei. Dass der Versicherungsnehmer beim Anheben der schweren Last, die die Chlorkanister bildeten, eine Hirnblutung erlitt, mag traurig sein, aber nach Auffassung des Versicherers sei eben kein Unfall im Sinne des durch die Unfallversicherung abgesicherten Risikos dafür ursächlich geworden.

Gemäß der Definition in § 178 Abs. 2 S. 1 VVG liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Es mag ja sein, so bemühte sich der Versicherer um eine Erklärung für die Versagung des Versicherungsschutzes, dass der Versicherungsnehmer unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten habe. Aber doch nicht durch ein von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis. Das Anheben der schweren Kanister und die Wirkung ihrer Last auf den Körper des Mannes wollte der Versicherer nicht als ein solches Ereignis gelten lassen.

Das OLG Hamm nahm den Ball auf und interpretierte das „Unfallereignis“ mit Hilfe von Begriffen, die man im Gesetz vergeblich suchen wird. Im Leitsatz der Entscheidung liest sich das so: „An einem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis (…) fehlt es, wenn die erlittene Gesundheitsschädigung allein auf eine plangemäß ausgeführte und von außen ungestörte Kraftanstrengung der versicherten Person zurückzuführen ist.“ Entsprach es also dem Plan des mit dem Versicherer um Invaliditätsentschädigung kämpfenden Versicherungsnehmers, unter dem Eindruck des Gewichts der von ihm zu hebenden Last, das Zerreißen von Gefäßwänden zu erleiden? Oder wollen die Oberrichter dahingehend verstanden werden, dass die Kraftanstrengung des Klägers ja nicht durch das Gewicht der Last sondern letztendlich nur durch die Reaktion seiner Gefäßwände darauf gestört wurde?

Der Vergleich mit der bisherigen Rechtsprechung macht das Problem deutlich. So hat beispielsweise der Bundesgerichtshof (BGH) das Ertrinken eines Menschen als Unfall gewertet. Das Eindringen des Wassers in die Lunge als das äußere Ereignis; und zwar ganz unabhängig davon, ob das Untersinken im Wasser auf das Versagen der Kräfte oder auf einen Muskelkrampf zurückzuführen ist. Einer ganzen Reihe von Sportverletzungen würde aber nach der Entscheidung des OLG Hamm als Ursache ein von außen wirkendes Ereignis fehlen, so dass sie versicherungsrechtlich nicht mehr als Unfallfolge zu behandeln wären. Die Versicherungswirtschaft wird es begrüßen.

OLG Frankfurt a.M. empfiehlt Drogenberater

Wer unter der Wirkung eines Rauschmittels ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führt, muss zumindest mit der Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 500,- € und der Anordnung eines Fahrverbots von einem Monat rechnen. Aber wie und vor allem wie lange wirken Rauschmittel?

Die Frage ist nicht so ohne Weiteres verlässlich zu beantworten. Und wird von einem Strafrichter auch gar nicht erst erwartet. Deshalb ist § 24 a Abs. 2 StVG auch dahin gehend auszulegen, dass ein Kfz bereits als unter der Wirkung eines Rauschmittels geführt gilt, wenn der aktive Wirkstoff einer der in der Anlage zu § 24 a StVG aufgelisteten Drogen im Blut des Fahrers nachgewiesen werden kann. Wird die von der sogenannten Grenzwertekommission definierte Nachweisgrenze erreicht, soll eine Beeinträchtigung grundsätzlich als möglich erscheinen. Aber allein der objektive Befund des Nachweises einer bestimmten Konzentration an Rauschmitteln im Blut reicht für sich genommen noch nicht für einen Schuldspruch wegen einer Drogenfahrt.

Dem Betroffenen muss darüber hinaus der Vorwurf zu machen sein, wenigstens fahrlässig gehandelt zu haben. Damit ist nicht gemeint, dass die Drogen gewissermaßen versehentlich eingenommen wurden. Es geht vielmehr um die Frage, ob dem Drogenkonsumenten zum Zeitpunkt der Fahrt bewusst ist oder von ihm hätte zumindest erkannt werden müssen, dass die Wirkung andauert. Da es nun aber für den Juristen gar nicht auf Anzeichen einer Wirkung ankommt, sondern allein die mit Erreichen des Grenzwertes gegebene bloße Möglichkeit der Drogenwirkung von Bedeutung ist, verhält sich nach Auffassung des Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. bereits der Fahrzeugführer schuldhaft, der sich nach Drogenkonsum ans Steuer seines Fahrzeugs setzt, ohne sicher sein zu können, dass die Konzentration der aktiven Wirkstoffe unter die Nachweisgrenze gesunken ist. „So kann und muss sich ein Kraftfahrzeugführer, der verbotenerweise Drogen konsumiert hat, Kenntnis darüber verschaffen, wie lange deren Wirkung anhält.“ Wie darf man sich das wohl vorstellen?

Kann denn Logik Sünde sein?

EU-Fahrerlaubnisse sind grundsätzlich anzuerkennen, solange der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen Wohnsitz am Ort der ausstellenden Behörde hatte, UND eine für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis nach Entzug der alten Fahrerlaubnis verhängte Sperrfrist abgelaufen war. So eindeutig und klar entschieden durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Aber wenn gar nicht erst eine Sperrfrist verhängt wurde, die vor Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis auslaufen könnte, was dann?

Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht (OLG) Hamm Ende vergangenen Jahres zu beschäftigen. Mit dem Rechtsmittel der Revision hatte die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft den Freispruch des Inhabers einer in Spanien erteilten Fahrerlaubnis angegriffen. Dem Führerscheininhaber war Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen worden, weil er mit seiner spanischen Fahrerlaubnis in Deutschland ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte, nachdem ihm zuvor seine deutsche Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen worden war. Eine Sperrfrist für die Ausstellung eines neuen Führerscheins hatte die Fahrerlaubnisbehörde nicht ausgesprochen.

Somit konnte eine der Voraussetzungen, die der EuGH für die Anerkennung von Fahrerlaubnissen aufgestellt hat, nicht eintreten. Das meinte jedenfalls die Staatsanwaltschaft. Wenn der EuGH davon spricht, dass die anzuerkennende Fahrerlaubnis außerhalb einer Sperrfrist erteilt worden sein muss, dann muss es im konkreten Fall quasi als Gegensatz dazu auch eine Zeitspanne innerhalb einer Sperrfrist geben. Keine Sperrfrist, also auch kein Innerhalb und kein Außerhalb einer Sperrfrist. So die Argumentation der Staatsanwaltschaft und des Generalstaatsanwaltes, die jedoch die Richter des in der Revisionsinstanz zuständigen OLG Hamm bei weitem nicht für so spitzfindig hielten wie der Revisionsführer selbst.

Die Richter des dritten Senats des OLG Hamm zeigten sich eher verständnislos. Tenor und Begründung der vom April des letzten Jahren stammenden Entscheidung des EuGH zur Anwendung der sogenannten dritten EU-Führerscheinrichtlinie lassen die von der Staatsanwaltschaft bemühte Auslegung gar nicht erst zu. Das Anliegen besagter EU-Richtlinie liege ja gerade darin, so der EuGH, einem EU-Bürger, dem seine Fahrerlaubnis in einem der Mitgliedsstaaten entzogen wurde, nicht ein für alle Mal den Weg zum Erwerb einer Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedsstaat zu versperren. Genau das käme aber dabei heraus, wenn man die Richtlinie bzw. die EuGH-Entscheidung so auszulegen versucht, wie in diesem Fall durch die Staatsanwaltschaft geschehen.

Falsch geparkt – Pappe weg

Wer im Straßenverkehr immer wieder mit Rotlichtverstößen, Geschwindigkeitsüberschreitungen, Abstandsunterschreitungen und dergleichen auffällt, riskiert den Verlust seiner Fahrerlaubnis. Aber auch ohne Punkte in Flensburg kann der Führerschein in Gefahr geraten. Nach Ansicht des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LaBO) und des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin kann schon falsches Parken die Fahrerlaubnis kosten.

Der rechtliche Ansatz dafür findet sich im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und dem Begriff der „Eignung zu Führen von Kraftfahrzeugen“. Zweifel an besagter Eignung sollen sich den Fahrerlaubnisbehörden nicht erst wegen eines hohen Punktestandes aufdrängen. Andere, nicht im Verkehrszentralregister erfasste Gründe für die Annahme, ein Fahrerlaubnisinhaber sei im Sinne des Gesetzes ungeeignet, können sogar solche Ordnungswidrigkeiten sein, die eigentlich im Bagatellbereich angesiedelt sind. Also auch Parkverstöße.

Maßgeblich sei, dass das Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers dessen mangelnde Bereitschaft offenbare, Ordnungsvorschriften einzuhalten. Wenig präzise und konkret sondern stattdessen eher im Stile politischer Propaganda und als ginge es um eine überfällige Abrechnung formulieren die Berliner Verwaltungsrichter ihre Rechtsauffassung dazu wie folgt: Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ist auch schon bei der Begehung bloßer Bagatell-Ordnungswidrigkeiten anzunehmen, „wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt und offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten und diese hartnäckig missachtet, wenn dies seinem persönlichen Interesse entspricht.“

Auf die besorgte Frage, was ein Autofahrer im ruhenden Verkehr alles angestellt haben muss, ein solches Unwerturteil auf sich zu ziehen, wird das Verwaltungsgericht dann doch noch erstaunlich konkret: „Dies ist im Sinne einer Faustformel jedenfalls dann anzunehmen, wenn auf ein Jahr gesehen nahezu wöchentlich ein geringfügiger Verstoß anfällt.“ Also nahezu ein Ticket pro Woche und schon gehört ein Fahrerlaubnisinhaber zur Spezies jener Verkehrsteilnehmer, vor denen alle anderen zu schützen sind? Denn um nichts anderes geht es ja bei der Frage, ob die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (fort-) besteht. Unangefochten von jedem Zweifel am eigenen Konstrukt findet sich in der Entscheidung des VG Berlin vom Herbst letzten Jahres die Bekräftigung: „Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs können (…) für die Beurteilung der Fahreignung jedenfalls dann aussagekräftig sein, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum derart häufen, dass dadurch nicht nur eine laxe Einstellung gegenüber das Abstellen des Kfz regelnden Verkehrsvorschriften jedweder Art offenbar wird.“

Fassungslos steht der logisch denkende Mensch vor solch einer Begründung richterlicher Entscheidungen. Dafür, dass sich der betroffene Fahrerlaubnisinhaber, um den es in diesem Fall ging, gerade nicht gegenüber Verkehrsvorschriften jedweder Art gleichgültig verhalten hat, sprechen der Inhalt des Bundeszentralregisters und des Verkehrszentralregisters; keine Eintragungen bzw. vier Punkte. Und dennoch kommen die Verwaltungsrichter zu dem Schluss, die Entziehung seiner Fahrerlaubnis diene „der Abwehr einer von ihm ausgehenden Gefahr, die in der unangemessenen Einstellung des (Betroffenen) zu den im Interesse eines geordneten Straßenverkehrs erlassenen Rechtsvorschriften gründet.“ Wie gesagt, es ging um Falschparken; 6,35 mal im Monat!

Urlaubssperre wegen Rotlichtverstoß?

Der Blitz verrät es: Mit ein paar km/h drüber gemessen oder knapp bei rot noch über die Kreuzung. Und nun ist wohl mit Post von der Ordnungsbehörde zu rechnen. Aber deshalb gleich auf ein paar Wochen Urlaub verzichten?

Wohl kaum? Es sei denn, mit der Zustellung eines Bußgeldbescheides ist zu rechnen. Denn wer sich gegen so einen Bußgeldbescheid mit dem Rechtsmittel des Einspruchs wehren will, muss dies innerhalb einer knappen Frist von zwei Wochen seit Zustellung des Bußgeldbescheides tun. Ansonsten wird der Bescheid rechtskräftig und die damit festgesetzte Geldbuße oder gar ein angeordnetes Fahrverbot werden unanfechtbar. Und wenn es nach der Ansicht so mancher Amtsrichter im Lande ginge, würde der Einwand, während einer Urlaubsreise am Einlegen des Einspruchs gehindert gewesen zu sein, ohne Bedeutung bleiben. Denn besagte Amtsrichter haben eine ebenso präzise wie strenge Vorstellung davon, welche Sorgfalt von einem Betroffenen verlangt werden darf, und was ihm zugemutet werden kann.

Und dass diese Vorstellung von einer ordnungsgemäßen Lebensgestaltung so gar nicht mit den verfassungsmäßigen Rechten eines Betroffenen oder auch Angeklagten in Einklang zu bringen ist, scheint so machen Amtsrichter auch nicht weiter anzufechten. So kam es doch tatsächlich jüngst wieder vor, dass einem Betroffenen die von ihm beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Hinweis darauf nicht gewährt wurde, er habe die fristgemäße Einlegung eines Einspruchs schuldhaft versäumt. Da er wusste, dass gegen ihn ein Bußgeldverfahren geführt wurde, hätte er vor seiner Abreise in einen mehrwöchigen Urlaub Vorkehrungen für den Fall der Zustellung eines Bußgeldbescheides zu treffen gehabt. Also einen Freund oder Nachbarn um regelmäßige Leerung des Briefkastens und Durchsicht der Post bitten. Ihn mit Postempfangsvollmacht ausstatten, damit auch Einschreiben entgegengenommen bzw. vom zuständigen Zustellamt abgeholt werden können. Eine Vollmacht zur Einlegung von Rechtsmitteln ausstellen und umfassende Instruktionen erteilen.

Es waren nicht etwa die mit der Rechtsbeschwerde angerufenen Richter des örtlich zuständigen Oberlandesgerichts (OLG), die das Amtsgericht an das verfassungsmäßige Recht auf rechtliches Gehör erinnerten und einen großzügigeren Umgang mit jenen gesetzlichen Regeln anmahnten, die dieses wichtige Prinzip unserer Rechtsordnung ausgestalten. Traurig aber wahr: Es musste erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einschreiten. Dieses stellte inzwischen zum wiederholten Male klar, dass einem Betroffen oder Beschuldigten nicht schon deshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt werden darf, nur weil er in dem Wissen, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, eine Urlaubsreise antritt, ohne Vorkehrungen für den Fall der Zustellung eines Bußgeldbescheides oder eines Strafbefehls getroffen zu haben.

Schwuchtel ja, vielleicht auch schwul, aber bestimmt nicht homosexuell

Wenn vom sogenannten Grundwortschatz die Rede ist, sind jene Worte einer Sprache gemeint, die als erforderlich erachtet werden, um 85% aller eben in dieser Sprache verfassten Texte verstehen zu können. Verstehen, was heißt das schon? Lediglich die Kenntnis von der Bedeutung eines Begriffs oder kommt es zum richtigen Verständnis nicht auch auf die Wirkung an, die der Begriff auf seinen Adressaten haben könnte? Womöglich weil dieser sich in seiner Ehre verletzt fühlt. Und ist das dann auch gleich ein Fall für den Staatsanwalt?

Was sich beispielsweise Polizeibeamte tagtäglich während ihres Dienstes so anhören müssen, ist sicherlich nicht immer schön und wohl auch geeignet, die Freude an der Berufsausübung zu trüben. Ob es nun daran liegt, dass die Nerven häufiger mal blank liegen, oder in eigenen Angelegenheit der Verfolgungseifer mancher Ordnungshüter stärker ausgebildet ist, wird nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten sein. Dass aber bisweilen Äußerungen des sogenannten polizeilichen Gegenüber zur Anzeige gebracht und Strafantrag wegen Beleidigung gestellt wird, die auf den distanzierten Beobachter eher harmlos wirken, wird nicht zu bestreiten sein. Bekanntermaßen wird ja bereits das formlose Du, als Angriff auf die Ehre eines Uniformträgers bewertet.

Dass hingegen ein sich wegen der Verwendung des Begriffs „Oberförster“ grämender Polizeimeister keinen objektiven Grund, hat sich beleidigt zu fühlen, war an dieser Stelle bereits nachzulesen. Aber wie sieht es aus, wenn ihm seine vermeintliche sexuelle Ausrichtung vorgehalten wird? Handelt es dabei um einen strafbaren Angriff auf die Ehre des Beamten? Mit dieser Frage hatte sich das Landgericht Tübingen zu beschäftigen. Konkret war Folgendes passiert:

Als Verdächtiger einer Trunkenheitsfahrt war der später wegen des Vorwurfs der Beleidigung Angeklagte in polizeilichen Gewahrsam geraten, um ihm eine Blutprobe abzunehmen. Erbost über die Einschränkung seiner persönlichen Freiheit, und um seine Mißachtung gegenüber den ihm die Freiheit entziehenden Polizisten zum Ausdruck zu bringen, betitelte er selbige als „Homosexuelle“. Die vermutlich durch und durch heterosexuellen Staatsdiener fühlten sich nicht nur brüskiert sondern auch beleidigt und brachten den Vorfall zu Anzeige. Wie häufig in solchen Fällen stellte der Dienstvorgesetzte ausdrücklich Strafantrag. Und während Otto Normalbürger in aller Regel die Erfahrung macht, dass die Justiz an der Verfolgung von Beleidigungen, die dem nicht Uniform tragenden Bürger widerfahren, keinerlei Interesse hegt, sondern den Anzeigenerstatter auf den sogenannten Privatklageweg verweist, erhob die Staatsanwaltschaft Tübingen im Fall unserer in ihrer Ehre gekränkten Ordnungshüter Anklage. Und das örtlich zuständige Amtsgericht verurteilte auch prompt.

Und somit war es das in der Berufung zuständige Landgericht Tübingen, das den eingeschnappten Polizeibeamten, ihren Dienstvorgesetzten, der verfolgungseifrigen Staatsanwaltschaft und letztlich auch dem desorientierten Amtsrichter Grundsätzliches zu erklären hatte:

1. Tatbestandliche Beleidigung im Sinne des § 185 StGB ist die Kundgabe eigener Missachtung.

2. Erfolgt sie gegenüber dem Betroffenen, kann dies in Gestalt eines Werturteils oder in Gestalt einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung geschehen.

3. Ob die Aussage einen die Ehre angreifenden Sinn hat, ist objektiv zu ermitteln. Darauf, dass der Äußernde subjektiv beleidigen wollte, oder der Empfänger sich subjektiv gekränkt fühlt, kommt es nicht an. Vielmehr muss die Äußerung unter Beachtung der Wertungen der Rechtsordnung bewertet werden.

In einer Rechtsordnung aber, die ein Antidiskriminierungsgesetz kennt, dessen § 1 die gesetzgeberische Intention offenlegt, Benachteiligungen unter anderem aus Gründen der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, kann dem Begriff „Homosexueller“ keine ehrverletzende Wirkung zugeschrieben werden. Das Landgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Fehlurteile

„Es hilft nichts, das Recht auf seiner Seite zu haben. Man muss auch mit der Justiz rechnen.“ Mit dieser lakonischen Feststellung hat der Kabarettist Dieter Hildebrandt schon vor vielen Jahren der zur Volksweisheit gewordenen Erkenntnis, dass es nicht ausreicht, im Recht zu sein, man müsse es auch bekommen, eine weitere Formulierung  hinzugefügt. Dabei konnte er, als er sein Misstrauen gegenüber den Leistungen der Justiz so zum Ausdruck brachte, die ungezählten Fehlurteile, die die Strafjustiz in der Folgezeit in Sachen „Fühererschein“ landauf landab noch zustande bringen sollte, gar nicht kennen. Gemeint sind die zahlreichen Strafverfahren, an deren Ende die Inhaber von EU-Fahrerlaubnissen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu Geld- oder gar Freiheitsstrafen verurteilt wurden, obwohl sie unschuldig waren. Weiterlesen

Nur mal anfassen.

Oder nur mal in der Hand halten. Sonst nichts weiter. Nichts weiter damit anstellen. Nicht reinsprechen. Nichts eingeben. Nichts tippen. Nichts drücken. Höchstens eine Taste. Und die auch nur einmal. Einmal kurz. Ohne hinzusehen. Wo sich die Taste mit dem roten Telefonhörer befindet, weiß man ja auch ohne langes Draufschauen.

Nur mal kurz „wegdrücken“. Weil man gerade nicht reden kann. Reden schon. Man darf nur gerade nicht telefonieren. Weil das beim Autofahren verboten ist. Jedenfalls ohne Freisprechanlage. Deshalb wird mal kurz „weggedrückt“. Das ist ja kein Telefonieren. Eher das Gegenteil davon.

Man kann ja noch nicht mal davon sprechen, dass ein Telefonat beendet werde. Dazu hätte es ja eins geben müssen. Hat es ja nicht. Der Anrufer ist ja ab- oder zurückgewiesen worden. Mit einem Druck des linken Daumens auf die Taste mit dem roten Telefonhörer. Das soll verboten sein? Dafür gibt es schon eine Geldbuße – Punkte noch dazu? Weiterlesen

Fahrerflucht nach Verkehrsunfall mit dem Einkaufswagen?

Soll vorkommen; und dann auch als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort strafbar sein. Das meint jedenfalls das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einer seiner jüngeren Entscheidungen. Wie kommt man auf so etwas, wenn man bei der Anwendung des Gesetzes dessen Wortlaut zur Verfügung hat? Indem man ihn dehnt und zieht und weitet, bis es passt.

„Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er (…) zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat (…), wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ So jedenfalls hat es der Gesetzgeber in § 142 Abs. 1 StGB formuliert. Dass man nicht unbedingt ein Fahrzeug geführt haben muss, um als Täter einer so genannten Unallflucht in Frage zu kommen, ergibt sich schon daraus, dass das Gesetz dem Unfallbeteiligten eine Pflicht auferlegt. Und das kann auch ein Fussgänger sein. Aber doch wohl „im Straßenverkehr“! Oder hat sich der Gesetzgeber auch den Kunden eines Supermarktes vorgestellt, der seinen Einkaufswagen über den Kundenparkplatz schiebt und dabei gegen ein parkendes Fahrzeug stößt.

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf handelt es sich bei dem beschriebenem Geschehen um einen Unfall im Straßenverkehr. Denn auch auf der Straße gibt es den so genannten „ruhenden Verkehr“. Die auf einem Kundenparkplatz geparkten Fahrzeuge seien demselben Risiko ausgesetzt wie jene im ruhenden Verkehr. Und mit dem Wegrollen eines Einkaufswagens realisiere sich eine für das abgeparkte Fahrzeug ganz typische Gefahrensituation. Deshalb begeht nach Überzeugung der Oberrichter ein strafbares unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach einem Unfall im Straßenverkehr, wer sich beim Einkaufen nicht fair verhält. Und das kann dann auch schon mal die Fahrerlaubnis kosten. Kommt nur auf die Höhe des Schadens an.

Keine Strafe ohne Gesetz! Ein rechtstaatlicher Grundsatz mit Verfassungsrang. Nachzulesen in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB. Wäre auch mal wieder die Lektüre wert; sogar für OLG-Richter.

Einfacher – aber deshalb auch besser?

Vor allem einfacher soll es werden. So wurden die Pläne aus dem Hause des Bundesverkehrsministers, den Bußgeldkatalog und das Fahrerlaubnisrecht reformieren zu wollen, schon vor Wochen in den Medien angekündigt. Heute soll es nun so weit sein. Herr Ramsauer wird der Öffentlichkeit eröffnen, was ein Stab an hochdotierten Staatssekretären und wissenschaftlichen Mitarbeitern ersonnen hat, um den Namen des bislang nicht gerade durch aufregende Ideen zur Verkehrspolitik in Erscheinung getretenen CSU-Ministers rechtzeitig vor den nächsten Bundestagswahlen in die Schlagszeilen zu bringen. Aber ist das denn nötig – den Bußgeldkatalog zu vereinfachen? Was war denn bisher angeblich so kompliziert daran?

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Zweierlei Maß für Europas Kraftfahrer.

Dass sich die EU auf dem Weg zur politischen Einheit auch eine gemeinsame Rechtsordnung geben muss, ist inzwischen wohl mehrheitlich als Prämisse anerkannt. Zumindest über den Weg dort hin sind die Meinungen geteilt. In Anbetracht der enormen Größe des Vorhabens und der Vielzahl der berührten Interessen ist das nicht anders zu erwarten. Und selten hat es geschadet, wenn eine Entscheidung ausführlich beraten wurde. Schaden nimmt das Projekt eher, wenn jene, auf deren Leben durch die zu schaffenden Regeln Einfluss genommen wird, das Gefühl beschleicht, ungerecht behandelt zu werden. Das kann schon mal vorkommen, wenn die Entscheidungsträger mit zweierlei Maß messen.

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Tage wie diese.

Das Oberlandesgericht Dresden hat seinen Sitz im Ständehaus direkt am Schloßplatz. Ein beeindruckendes Gebäude. An der Stelle des alten Plenarsaals befindet sich heute der Gerichtssaalkubus mit sieben Verhandlungssälen. In einem der Säle findet heute die auf meine Berufung hin durchzuführende mündliche Verhandlung statt.

Mit der Begründung, mein Mandant habe als faktischer Geschäftsführer einer in der Schweiz zugelassenen Aktiengesellschaft in Deutschland Betrug begangen, hat das Landgericht der Klage des Klägers Zahlung von Schadensersatz stattgegeben. Immerhin hat das Oberlandesgericht auf meine Berufungsbegründung hin mündliche Verhandlung anberaumt und nicht schon durch Beschluss die Berufung verworfen. Ein gutes Zeichen. Und dann kommt es für den Kläger ganz dicke.

Der Vorsitzende führt in den Sach- und Streitstand ein: So leicht, wie es sich das Landgericht mit dem von mir angegriffenen Urteil gemacht hat, geht es nicht. Schlimmer noch. Die Klage selbst ist schon unschlüssig. Der Klägervertreter wird unruhig, versucht seine Klage zu retten. Ohne Erfolg. Mit den Argumenten aus meinen Schriftsätzen hält der Vorsitzende entgegen. Ich kann mich beruhigt in meinem Sessel zurücklehnen und Bewunderung darüber empfinden, wie gut es den Architekten mit dem Umbau des ehrwürdigen Gebäudes 1996 bis 2001 gelungen ist, die nach dem Krieg erhaltene Bausubstanz mit modernen Stilmitteln zu verbinden.

Apropos „Krieg“; der gegnerische Anwalt sollte jetzt langsam kapitulieren. Ich würde mir bei diesem herrlichen Herbstwetter gern noch einen Spaziergang am Ufer der Elbe gönnen, bevor ich mich wieder auf den Weg nach Berlin mache.

Trotz regelmäßigen Konsums von Cannabis nicht ungeeignet zum Führen von KFZ

Der präzise Umgang mit der Sprache fördert die Verständigung; aber auch die richtige Anwendung des Rechts. Die richtige Auslegung von Gesetzen erfordert geradezu ein präzises Verständnis der im Gesetzeswortlaut verwendeten Begriffe. Zum Beispiel des Begriffs „regelmäßig“ in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Gemäß Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 der FeV soll nämlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelten, wer „regelmäßig“ Cannabis konsumiert. Entspricht diese Formulierung tatsächlich dem Sinn des Gesetzes?

Wohl kaum. Denn dass sich der Konsum an einer vom Konsumenten aufgestellten Regel orientiert, sagt rein gar nichts über das Maß und den Umfang des Konsums und somit seine denkbaren Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit. „Regelmäßig“ ist eben nicht gleichbedeutend mit „oft“, „häufig“ oder gar „stets“. Wer alljährlich am Abend des 24. Dezember einen Joint raucht, um der Feier im Kreise der Familie noch mehr abgewinnen zu können, ist nach dem Wortlaut der in Rede stehenden Norm als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen auch an allen anderen 364 Tagen des Jahres zu behandeln, selbst wenn er am Heilig Abend gewohnheitsmäßig nicht einmal einen Fuß vor die Tür setzt.

Das kann so nicht richtig sein. Und das sieht auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfahlen so:

„Der Normzweck der Nr. 9.2 Anlage 4 zur FeV würde verfehlt, wenn man allein auf die Regelhaftigkeit des Konsums – ohne Berücksichtigung auch der Häufigkeit – abstellen wollte. Denn derjenige, der unter Einhaltung eines festen Zeitschemas, insgesamt aber selten Cannabis konsumiert, wird wahrscheinlich seine grundsätzliche Bereitschaft umsetzen können, Cannabiskonsum und Kraftfahren zu trennen. Es spricht sogar manches dafür, dass die Zuweisung fester Zeiten für den Konsum die konsequente Vermeidung von Kraftfahrten unter Cannabiseinfluss eher erleichtert. Das Risiko, dass der regelhaft aber selten Konsumierende ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss führt, obwohl er dieses für sich grundsätzlich ausgeschlossen hat, ist deutlich geringer als bei einem täglichen oder nahezu täglichen Konsumenten. Diese unterschiedlichen Konsumformen dürfen also nicht zu derselben Rechtsfolge führen.Im Ergebnis folgt daraus, dass die gewohnheitsmäßige Einnahme von Cannabis nur dann als regelmäßig im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne angesehen werden kann, wenn sie nicht deutlich seltener als täglich erfolgt.“

Keine Gefährdung – kein Fahrverbot!

Trotz eines sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoßes ist von der Anordnung eines Fahrverbotes abzusehen, wenn eine Gefährdung von Fußgängern und Querverkehr von vornherein ausgeschlossen war.

Eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ist insbesondere dann auszuschließen, wenn diese zum Zeitpunkt des zu ahndenden Rotlichtverstoßes nicht in den durch das Rotlicht geschützten Kreuzungsbereich gelangen konnten. Dies ist typischerweise bei gesondert geregelten Abbiegespuren der Fall. Ein solcher Fall lag dem in der Rechtsbeschwerde zuständigen Kammergericht zur Entscheidung vor:

„Der in der Anordnung eines einmonatigen Regelfahrverbotes liegende erhöhte Sanktionsrahmen bei einem sog. qualifizierten Rotlichtverstoß ist nicht eröffnet, wenn es zu einer abstrakten Gefährdung des Querverkehrs und insbesondere von Fußgängern von vornherein nicht kommen kann, weil diese deshalb zum Zeitpunkt des Rotlichtverstosses ebenfalls nicht in den geschützen Bereich der Kreuzung eindringen konnten, weil die Fahrspuren für den Querverkehr bzw. auch die Fußgängerfurten gesperrt waren.“

Also: Nicht immer gleich jeden Bußgeldbescheid oder jedes amtsgerichtliche Urteil akzeptieren. Sonst kommt man ja nie in den Genuss einer erfolgreichen Rechtsbeschwerde.

“Punkteanfrage in Flensburg wird einfacher”?

Diese vollmundige Ankündigung aus dem Hause des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung kommt etwa einen Monat zu spät. Denn um mehr als einen Aprilscherz handelt es sich dabei wohl nicht.

“Mit dem neuen Personalausweis im Scheckkartenformat und einem entsprechenden Lesegerät kann jeder künftig über das Internet Auskunft über seinen Punktestand beantragen”, tönt es aus dem Hause Ramsauer. Das klingt eher nach dem hilflosen Bemühen, dem neuen Personalausweis zu mehr Popularität und dem “entsprechenden Lesegerät” zu höheren Absatzzahlen zu verhelfen. Um eine einfachere Methode gegenüber dem bisherigen Erfordernis, beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg eine beglaubigte Ablichtung seines Personalausweises einzureichen, handelt es sich dabei allenfalls für den nach wie vor zahlenmäßig recht übersichtlichen Kreis jener Bundesbürger, die ihre biometrischen Daten bereits scannen ließen und den heißen Draht zu Big Brother hergestellt haben.

Nach wie vor hole ich für Sie auf Ihren Auftrag hin Auskünfte aus dem Verkehrszentralregister (VZR) ein. Und dazu benötigen Sie weder einen neuen PA in Scheckkartenformat, noch eine beglaubigte Ablichtung Ihres Ausweises und erst recht kein “entsprechendes Lesegerät”.

Amtsgericht Lübben ausgebremst.

Das Amtsgericht Lübben hatte in jüngster Vergangenheit durch interessante Urteile auf sich aufmerksam gemacht. Es hatte Betroffene in Bußgeldverfahren freigesprochen, denen vorgeworfen worden war, die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben. Den Vorwürfen gemeinsam war, dass sie auf Geschwindigkeitsmessungen mit einem auf der Lichtschrankentechnik basierenden Einseitensensor des Typs eso ES 3.0 gestützt wurden. Das Amtsgericht Lübben sah die damit erzielten Messergebnisse als nicht verwertbar an, wenn entgegen der Gebrauchsanweisung des Herstellers auf den Tatfotos die Fotolinie nicht erkennbar war, und somit Zweifel daran angebracht waren, dass es sich bei dem abgebildeten Fahrzeug auch um das tatsächlich gemessene handelt.

Gegen die freisprechenden Urteile ist die Staatsanwaltschaft in die Rechsbeschwerde gegangen. Das in der Rechtsbeschwerdeinstanz zuständige Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat nun jüngst eines dieser besagten Urteile aufgehoben. Die Oberrichter haben dem Amtsgericht zwar zugestanden, dass sich infolge des Fehlens der Fotolinie auf dem Tatfoto der Verdacht einer fehlerhaften Zuordnung aufdrängen durfte. Ein solcher Verdacht hätte  aber nicht gleich zum Freispruch führen dürfen. Er hätte dem Amtsgericht allerdings Anlass geben müssen, zunächst einmal das Gutachten eines Sachverständigen zu der Frage in Auftrag zu geben, ob das Messergebnis zumindest mit größeren Sicherheitsabschlägen verwertbar ist.

Nach der Entscheidung des OLG Brandenburg stellt sich wieder einmal mehr im Leben die Frage, ob das Glas nun halb leer oder halb voll ist. Immerhin enthält die Beschlussbegründung doch einen für die Verteidigung in solchen Fällen bedeutsamen Hinweis: Wird der Verlauf der Fotolinie nicht dokumentiert, rechtfertigt dies Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung mit dem Einseitensensor, über die das Amtsgericht wiederum auch nicht ohne Weiteres hinweg gehen darf. Die berechtigten Zweifel können nur durch das Gutachten eines Sachverständigen ausgeräumt werden. Einem darauf abzielenden Beweisantrag des Verteidigers wird also unter Verweis auf die Entscheidung des OLG Brandenburg in Zukunft nachzugehen sein.

„Familientreffen der Verkehrsrechtler“

So hat der Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages (VGT), Generalbundesanwalt a. D. Kay Nehm, in seiner Eröffnungsansprache heute Vormittag aus Anlass der diesjährigen Tagung die Traditionsveranstaltung in Goslar bezeichnet. Und als habe er sich bei der Ausarbeitung seiner Rede von diesem Bild leiten lassen, bedachte er in altväterlicher Manier Gerichte, Rechtsanwälte, Recht suchende Bürger – ja sogar die „Gesellschaft“ als solche – mit seiner sarkastischen Kritik, als gelte es, die Zusammenkunft der Familie zu nutzen, selbiger die Leviten zu lesen.

So verstieg sich der ehemalige Generalbundesanwalt, dem wohl als Amtsinhaber ein Dienstwagen zur Verfügung gestanden haben wird, aus Anlass der Begrüßung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, zu folgender Feststellung:

Das Amt des Verkehrsministers bereitet im Lande der notorischen Gutmenschen, der Neinsager und Bedenkenträger nicht nur ungetrübte Freude. Eine von Anspruchsdenken und Versicherungsmentalität geprägte Gesellschaft leidet unter jeder Art von Mobilitäts-Störung. Ob witterungsbedingte Probleme der Deutschen Bahn, ob baustellenbedingter Stau auf Autobahnen oder Mängel der Luftfrachtkontrolle, der Verkehrsminister wird für alles und jedes verantwortlich gemacht.“

Während der Bürger, der auf die Funktionsfähigkeit und Sicherheit der Verkehrswege und -mittel angewiesen ist, für angeblich übersteigertes Anspruchsdenken gescholten wird, rückt die Eröffnunsgansprache des Präsidenten Oberrichter in die Nähe kautziger Sonderlinge. Bezug nehmend auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg zur mangelnden Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung der Winterreifenpflicht, über die hier bereits berichtet worden war, diskreditiert Kay Nehm das in Rede stehende Judikat als Aprilscherz:

„Nicht zur Weihnachtszeit und auch nicht – wie man meinen möchte – zum 1. April, (…) hatte es das Oberlandesgericht Oldenburg mit einem Autofahrer zu tun, der behauptete, mit seinen Sommerreifen auf Eis genau so gut rutschen zu können, wie mit der bei winterlichen Straßenverhältnissen vorgeschriebenen geeigneten Bereifung. Was bei flüchtiger Betrachtung wie ein Beitrag zu `Wetten dass …´ anmutet, entpuppte sich als verkehrsrechtlicher Paukenschlag. (…) Niemand außer deutsche Oberrichter würden aber auf die Idee kommen, herkömmliche Sommerreifen als generell für winterliche Straßenverhältnisse anzusehen.“

Die Schelte von Richtern, die ein Gesetz auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft haben, ist ärgerlich genug. Dass dazu die Begründung der Entscheidung des Gerichts derart verkürzt und damit schlicht falsch durch einen Generalbundesanwalt a. D. wiedergegeben wird, ist kaum zu fassen. Danach vermag es nicht zu verwundern, dass der Recht suchende Bürger wie auch der von ihm gewählte Verteidiger für Verkehrsstrafrecht ihr Fett abbekommen:

„In der Praxis gerät jedoch ein Halter, der den Verkehrsverstoß begangen hat und sich im Vertrauen auf die großzügige deutsche Rechtspraxis in Schweigen hüllt, in die Bredouille: Schweigen im ausländischen Verfahren nützt nichts; er muss schon Verwaltung und Gericht beschwindeln. Das bereitet, wie wir alle wissen, kaum ernsthafte Probleme. Zart Besaitete lassen ihren Anwalt sprechen.“

Ja, so wünscht man sich doch ein nettes Familentreffen. Es wird rumgegiftet, schon nach wenigen Stunden fragt man sich, weshalb man überhaupt gekommen ist und trotzdem ist man im nächsten Jahr wieder dabei.

Polizeibeamte umgehen Richtervorbehalt

Ein einfaches „Nein“ sollte in aller Regel genügen. Wenn mangelnde Bereitschaft, Ablehnung, Widerspruch zum Ausdruck gebracht werden sollen, muss eine verbale Bekundung entgegen stehenden Willens als ausreichend erachtet werden, um wahr und ernst genommen zu werden. Erst recht, wenn es sich bei dem Adressaten der Willensbekundung um einen Vertreter der Staatsgewalt handelt, der unter Anwendung der ihm qua Gesetz eingeräumten Kompetenzen dem Widersprechenden gegenübersteht. Zum Beispiel des nachts während einer polizeilichen Verkehrskontrolle. Und – vorbei am gesetzlich geregelten Richtervorbehalt – eine Blutentnahme anordnet.

Selbstverständlich? Weit gefehlt. Auf der Grundlage der mir jüngst von meinen Mandanten, die in eine solche Situation gerieten, erstatteten Berichte, musste ich folgendes Bild von der Vorgehensweise mancher Polizeibeamter gewinnen:

Also wir nehmen Sie jetzt mit zur Blutentnahme. Können Sie verweigern. Wird aber so wie so gemacht. Notfalls müssen wir unmittelbaren Zwang anwenden. Das könnte dann unangenhmer für Sie sein, als wenn Sie die Blutentnahme freiwillig über sich ergehen lassen. Also, wie wollen Sie es haben?“

Dass die Entscheidung in den meisten Fällen für „freiwillig“ ausfällt, wird nicht verwundern. Nach dieser Ansage stellt sich so mancher vor, dass keine Möglichkeit besteht, auch nur Widerspruch zu erheben, ohne nicht das Risiko einer durch Gewaltanwendung erzwungenen kurzfristigen Öffnung einer Armvene einzugehen. Wer will das schon. In den Ermittlungsakten findet sich dann der Hinweis, dass der Tatverdächtige/Beschuldigte in die Blutentnahme eingewilligt hat.

Diese angebliche Einwilligung erspart es den Polizeibeamten, die Anordnung der Blutentnahme bei einem Richter einzuholen. So wie es das Gesetz grundsätzlich vorsieht. Nur ausnahmsweise dürfen die Verfolgungsbehörden selbst – wegen Gefahr im Verzuge – die Blutentnahme anordnen. Das muss dann aber gewissenhaft und nachprüfbar begründet werden. Und kostet Mühe und Zeit. Und man könnte mit der Begründung ja auch mal falsch liegen. Um wie viel bequemer ist es da doch, wenn der Tatverdächtig in die Maßnahme einwilligt. Aber ist eine solche Einwilligung noch freiwillig erfolgt oder durch List und Tücke abgetrotzt, wenn schon die „Belehrung“ in die Irre führt.

Denn es mag ja sein, dass die Blutentnahme so oder so angeordnet wird. Ob nun durch einen Richter oder durch einen Polizeibeamten wegen Gefahr im Verzuge. Um sich seine Rechte vollständig zu wahren, reicht es ganz und gar aus, dass der Betroffene seinen Widerspruch gegen die Anordnung erklärt. Es kommt auf keinen Fall darauf an, dass er sich der Blutentnahme auch physisch widersetzt. Die kann er nach Erhebung des Widerspruchs immer noch ohne Weiteres über sich entgehen lassen.

Eigentlich ist es noch nicht einmal erforderlich, dass ein Widerspruch zum Ausdruck gebracht wird. Das Verweigern der von den Beamten „erbetenen“ Zustimmung reicht nach der Gesetzeslage schon aus. Aber: ein einfaches „Nein“ kann ja nicht schaden – tut gar nicht weh.

Höhere Strafe für schweigenden Angeklagten?

“ … wird der Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.“ § 243 Abs. 5  S. StPO. Zugegeben: Besonders originell mutet es nicht an, einen der Artikel für mein Blog mit einem Zitat aus der Strafprozessordnung zu beginnen. Aber bisweilen ist es angezeigt, das Gesetz in Erinnerung zu rufen. Und zwar gerade jene Normen, die zumindest jeder Profi kennen sollte und vermutlich auch meint zu kennen. So wohl auch der Staatsanwalt in einer Verhandlung vor dem Amtgericht Königs Wusterhausen, an der ich als Verteidiger des Angeklagten teilnahm, und in der heute, am inzwischen dritten Verhandlungstag, zu plädieren war.

Zuvor sollten noch zwei Zeugen vernommen werden, von denen man sich von vornherein nicht sehr viel mehr Neues erwartet hatte. Außerdem noch das ein oder andere Schriftstück durch Verlesen in die Beweisaufnahme eingeführt werden, und dann sollte es das gewesen sein. Schluss der Beweisaufnahme und dann die Plädoyers. Nichts Ausergewöhnliches. Aber dann: Der Staatsanwalt beginnt seinen Schlussvortrag mit einem Hinweis darauf, dass sich der Angeklagte nicht geäußert habe. Hmm. Die Tat, derer er angeklagt ist, sei bei ihm „wohl noch gar nicht richtig angekommen„, was auch immer damit zum Ausdruck gebracht werden sollte. Jedenfalls werde das im Rahmen der Strafzumessung, auf die der Staatsanwalt später in seinem Plädoyer zu sprechen komme wolle, zu berücksichtigen sein. Wie bitte?

Eigentlich gab es in diesem Verfahren nicht all‘ zu viel Anlass für Verärgerung, und ich hatte  gedacht, dass das heute ein recht entspannter Tag werden könnte. Aber nun, da ich den Worten des Vertreters der Anklage lausche, spüre ich dann doch wieder diesen Druck in meinem Hals, der sich aus Gefühlen wie Wut und Fassungslosgkeit speist, und den Wunsch verspüren lässt, mich jetzt sofort von meinem Stuhl zu erheben und das Wort vorzeitig zu ergreifen. Kann es denn wirklich möglich sein, dass ein Volljurist …?

Wenn meine Mandanten besorgt die Frage an mich richten, ob es ihnen denn nicht zum Nachteil gereichen kann, wenn sie meinem Rat folgen, und sich nicht zur Sache einlassen – sich also durch Schweigen verteidigen -, dann dürfen sie sich auf meine für die Belange meiner Mandanten schier unerschöpfliche Geduld verlassen, mit der ich erforderlichenfalls auch wiederholt die Rechtslage erkläre. Meine Mandanten dürfen das. Sie sind Laien. Und sie sind meine Mandanten. Und ich ihr Verteidiger.

Aber der Staatsanwalt, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist, ein des Lesens kundiger Volljurist, darf der das? Jedenfalls darf er sich nicht beschweren, wenn mein Plädoyer als Reaktion auf solchen Unsinn etwas gröber ausfällt. Das Recht zu schweigen, ist ein Recht des Angeklagten. Es steht ihm frei, so schon der Gesetzeswortlaut, davon Gebrauch zu machen. Stünde es ihm tatsächlich frei, wenn er nur wegen des Gebrauchmachens vom Schweigerecht mit höherer Strafe zu rechnen hätte. Natürlich nicht. Das habe ich dann in meinem Schlussvortrag noch mal in aller Ruhe und gaaanz ausführlich erklärt. Hat dann zwar etwas länger gedauert, so dass das Gericht heute nicht mehr zur Urteilsberatung kam. Aber was soll man machen.