In Polen verurteilt und nichts gemerkt.

Nach polnischem Strafverfahrensrecht kann ein Angeklagter auch in Abwesenheit zu Freiheitsstrafen verurteilt werden. Wert auf Anwesenheit wird erst gelegt, wenn die Freiheitsstrafe in einem polnischen Gefängnis vollstreckt werden soll. Ein in einem EU-Mitgliedsstaat wohnender Verurteilter wird dann schon mal mit Europäischem Haftbefehl verfolgt. Der ist von der deutschen Justiz als Auslieferungsersuchen zu behandeln.

Die am Wohnort des Verfolgten örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft hat sich solcher Auslieferungsersuchen anzunehmen und zu prüfen, ob dem Auslieferungsbegehren stattzugeben ist. So wie in dem hier zu berichtenden Fall, der auch überzeugte Europäer gruseln lässt. Wegen Verletzung einer angeblich in Polen bestehenden Unterhaltspflicht wurde der Beschuldigte in Abwesenheit, ohne Verteidiger und ohne sich jemals zum Vorwurf geäußert zu haben, zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. In Unkenntnis der Bewährungsauflage, seine angeblichen Unterhaltspflichten zukünftig gewissenhaft und ausnahmslos zu erfüllen, verstieß der Verurteilte gegen dieselben. Also ordnete das Amtsgericht in Polen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe an.

Um das Auslieferungsersuchen hatte sich die am Wohnort des Verfolgten örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft zu kümmern. Die hatte keine Probleme damit, die Voraussetzungen einer Auslieferung nach dem Gesetz über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen anzunehmen. Und so beantragte sie beim zuständigen Oberlandesgericht (OLG) den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls. Die Oberrichter sahen sich die Akten etwas gewissenhafter an und förderten zu Tage, dass der Verfolgte vermutlich noch nicht mal eine Ladung zu der Gerichtsverhandlung erhalten hatte, in der er in Abwesenheit verurteilt wurde. Dem Generalstaatsanwalt war dies nicht aufgefallen; oder es störte ihn nicht weiter. Der von ihm beantragte Auslieferungshaftbefehl wurde nicht erlassen.