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Was Richter so alles übel nehmen.

Unser Strafrecht lässt dem Richter bei der Bemessung einer zu verhängenden Strafe einen weiten Spielraum. Sofern nicht ein Mord abzuurteilen ist, sieht das Gesetz für die Ahndung von Straftaten sogenannte Strafrahmen vor. Innerhalb dieser Rahmen hat das Gericht die angemessene Strafe zu finden. Dazu müssen die Strafrichter ausgehend von der Schuld des Täters alle für und gegen ihn sprechenden Umstände gegeneinander abwägen. Auf welche Ideen sie dabei bisweilen kommen, ist kaum zu glauben, aber wahr.

Einigen wird die Geschichte sogar bekannt vorkommen. Da ist nämlich zunächst einmal die Rede von einem Fußballverein, den wir mal B. e.V. nennen wollen. Besagter Verein hatte einen Präsidenten, den Herrn H. Dieser war wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Es soll nun aber gar nicht um die Freiheitsstrafe gehen, die das Landgericht München gegen Herrn H. verhängt hat. Darüber ist schon viel, vermutlich sogar alles geschrieben und gesagt worden. Stattdessen geht es hier um das Urteil gegen einen anderen Herren. Der soll der besseren Übersicht wegen E. heißen. E. hat viel von dem, was da in den Medien über das Strafverfahren gegen Herrn H. und die gegen ihn verhängte Strafe verbreitet worden war, gehört, gesehen und gelesen. „Ungerecht“, dachte sich besagter Herr E. Und dass die Strafe für Herrn H. viel zu milde ausgefallen sei. Dieser H. sei überhaupt viel zu gut weggekommen.

Und wohl deshalb stellte sich bei dem späteren Angeklagten E. die Vorstellung ein, dass er die von ihm als ungerecht empfundenen Verhältnisse ins rechte Lot rücken könnte, wenn es ihm gelänge, den H. um etwas von dem ihm verbliebenen Geld zu erleichteren. Dies sollte durch eine Erpressung geschehen. Unter dem Pseudonym „MisterX“ schrieb er dem H., der bereits seine Ladung zum Haftantritt bekommen hatte und seiner Zeit im Gefängnis entgegen sah. In dem Erpresserschreiben schilderte der E. aus eigener Erfahrung das Leben in einer Justizvollzugsanstalt und stellte dem H. in Aussicht, auf den Vollzug seiner Freiheitsstrafe Einfluss nehmen zu können. H. war davon überzeugt, dass die Gestaltung seines Haftlebens maßgeblich von E. und dessen Willen abhängig sein würde. Besorgt darüber, was ihm alles passieren könnte, sollte H. 215.000,- € zahlen. Der ging aber nur zum Schein auf die Forderung des Erpressers ein. Bei der verabredeten Geldübergabe wurde E. festgenommen.

Dass das Landgericht München II den E. wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe verurteilte, vermag nicht zu überraschen. Hingegen ist die Virtuosität, mit der das Gericht die Strafhöhe von drei Jahren und neun Monaten begründet hat, bemerkenswert. Die Richter haben es dem E. als Beleg für seine gesteigerte kriminelle Energie besonders angekreidet, dass er bewusst darauf verzichtet hat, die Datei mit dem Erpresserschreiben auf seinem PC zu speichern, um so ein Auffinden derselben durch die Polizei zu erschweren. Desweiteren wussten sich die Richter darüber zu ereifern, dass der Täter durch das Tragen von Handschuhen das Aufbringen von Fingerabdruckspuren vermieden hatte. Und schließlich wollten sie ihm nicht nachsehen, dass der E. im Schreiben an den H. anonym geblieben war. All diese Umstände mussten nach Aufassung des Landgerichts zu Lasten des Angeklagten bewertet werden und führten letztendlich sogar zu einer höheren Strafe.

Die ganze Absurdität solcher Urteilsbegründungen zeigt sich dem Betrachter, der sich vor Augen führt, welches Verhalten der Erpresser wohl hätte an den Tag legen müssen, um eine Strafschärfung zu vermeiden. Er hätte alles unterlassen müssen, was seine Ergreifung erschweren konnte. Mehr noch. E. hätte auf sich als Täter hindeutende Hinweise schaffen müssen, um einer Strafschärfung zu entgehen. Ein Erpresserschreiben unter eigenem Namen und Nennung der Wohnanschrift, das war es wohl, was den Richtern der beim Landgericht München II zuständigen Kammer so vorschwebte. Wie falsch sie damit lagen, hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer seiner Entscheidungen aus dem Mai dieses Jahres in dankenswerter Klarheit verdeutlicht: „Dem Angeklagten darf aber nicht straferschwerend zur Last gelegt werden, er habe den Ermittlungsbehörden seine Überführung nicht erleichtert, indem er keine auf ihn hindeutenden Hinweise geschaffen habe ( … ). Dies wäre aber der Fall, wenn man einem Erpresser anlastet, er trete nicht unter seinem Namen, sondern anonym auf, und er habe ein Erpresserschreiben nicht abgespeichert, sondern ohne Speicherung auf seinem Computer erstellt.“ Was so alles einer Erklärung bedarf.