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Polizeibeamte umgehen Richtervorbehalt

Ein einfaches „Nein“ sollte in aller Regel genügen. Wenn mangelnde Bereitschaft, Ablehnung, Widerspruch zum Ausdruck gebracht werden sollen, muss eine verbale Bekundung entgegen stehenden Willens als ausreichend erachtet werden, um wahr und ernst genommen zu werden. Erst recht, wenn es sich bei dem Adressaten der Willensbekundung um einen Vertreter der Staatsgewalt handelt, der unter Anwendung der ihm qua Gesetz eingeräumten Kompetenzen dem Widersprechenden gegenübersteht. Zum Beispiel des nachts während einer polizeilichen Verkehrskontrolle. Und – vorbei am gesetzlich geregelten Richtervorbehalt – eine Blutentnahme anordnet.

Selbstverständlich? Weit gefehlt. Auf der Grundlage der mir jüngst von meinen Mandanten, die in eine solche Situation gerieten, erstatteten Berichte, musste ich folgendes Bild von der Vorgehensweise mancher Polizeibeamter gewinnen:

Also wir nehmen Sie jetzt mit zur Blutentnahme. Können Sie verweigern. Wird aber so wie so gemacht. Notfalls müssen wir unmittelbaren Zwang anwenden. Das könnte dann unangenhmer für Sie sein, als wenn Sie die Blutentnahme freiwillig über sich ergehen lassen. Also, wie wollen Sie es haben?“

Dass die Entscheidung in den meisten Fällen für „freiwillig“ ausfällt, wird nicht verwundern. Nach dieser Ansage stellt sich so mancher vor, dass keine Möglichkeit besteht, auch nur Widerspruch zu erheben, ohne nicht das Risiko einer durch Gewaltanwendung erzwungenen kurzfristigen Öffnung einer Armvene einzugehen. Wer will das schon. In den Ermittlungsakten findet sich dann der Hinweis, dass der Tatverdächtige/Beschuldigte in die Blutentnahme eingewilligt hat.

Diese angebliche Einwilligung erspart es den Polizeibeamten, die Anordnung der Blutentnahme bei einem Richter einzuholen. So wie es das Gesetz grundsätzlich vorsieht. Nur ausnahmsweise dürfen die Verfolgungsbehörden selbst – wegen Gefahr im Verzuge – die Blutentnahme anordnen. Das muss dann aber gewissenhaft und nachprüfbar begründet werden. Und kostet Mühe und Zeit. Und man könnte mit der Begründung ja auch mal falsch liegen. Um wie viel bequemer ist es da doch, wenn der Tatverdächtig in die Maßnahme einwilligt. Aber ist eine solche Einwilligung noch freiwillig erfolgt oder durch List und Tücke abgetrotzt, wenn schon die „Belehrung“ in die Irre führt.

Denn es mag ja sein, dass die Blutentnahme so oder so angeordnet wird. Ob nun durch einen Richter oder durch einen Polizeibeamten wegen Gefahr im Verzuge. Um sich seine Rechte vollständig zu wahren, reicht es ganz und gar aus, dass der Betroffene seinen Widerspruch gegen die Anordnung erklärt. Es kommt auf keinen Fall darauf an, dass er sich der Blutentnahme auch physisch widersetzt. Die kann er nach Erhebung des Widerspruchs immer noch ohne Weiteres über sich entgehen lassen.

Eigentlich ist es noch nicht einmal erforderlich, dass ein Widerspruch zum Ausdruck gebracht wird. Das Verweigern der von den Beamten „erbetenen“ Zustimmung reicht nach der Gesetzeslage schon aus. Aber: ein einfaches „Nein“ kann ja nicht schaden – tut gar nicht weh.

Bundesverfassungsgericht hält weiter gegen!

Mittlerweile zum dritten Mal sieht sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) veranlasst, in Sachen „Blutentnahme beim Verdacht auf Trunkenheitsfahrt“ auf die Einhaltung des Gesetzes zu pochen. Trotz der grundlegenden und eindeutigen Entscheidungen der Verfassungshüter aus den Jahren 2007 und 2008 hat die polizeiliche Praxis kaum eine den Vorgaben des BVerfG gerecht werdende Änderung erfahren. Land auf Land ab ordnen Polizeibeamte nach wie vor wegen angeblicher Gefahr im Verzuge Blutentnahmen gegenüber wegen einer Trunkenheitsfahrt verdächtigen Fahrzeugführern an, ohne sich zuvor um eine richterliche Anordnung zumindest bemüht zu haben.

Die Umgehung des gesetzlich geregelten Richtervorbehalts (§ 81 a Abs. 1 StPO) wird häufig damit gerechtfertigt, dass außerhalb der üblichen Dienstzeiten der Gerichte so wie so kein Richter zu erreichen sei, dem die Frage, ob eine Blutentnahme durchgeführt werden darf, vorgelegt werden könne. Mit dieser Begründung wird dann immer wieder darauf verzichtet, auch nur einen entsprechenden Versuch zu unternehmen. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet in seiner jüngsten Entscheidung, dass gar nicht erst geklärt wird, ob tatsächlich kein Richter zu erreichen war, bevor die Anweisung eines Staatsanwaltes eingeholt wurde.

Damit stellt sich das BVerfG gegen eine Entscheidung des Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg, welches die Auffassung vertritt, dass das Gesetz eine solche stufenweise Vorgehensweise nicht verlangen würde. Die Verfassungsrichter gehen sogar noch weiter. Die Umstände, auf die die Polizei ihre Annahme stützt, der mit der Einschaltung  eines Richters verbundene zeitliche Aufwand gefährde den Untersuchungszweck, müssen in der Ermittlungsakte überprüfbar dokumentiert werden.

Die Auseinandersetzung um die richtige Anwendung des Gesetzes geht mit der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in die nächste Runde. Den Betroffenen ist zu raten, einer Anordnung der Blutentnahme durch Polizei oder Staatsanwaltschaft zu widersprechen und keine Einwilligung zu erklären. Dazu ist es nicht erforderlich, sich der Maßnahme zu widersetzen. Beugt sich der Betroffene der Androhung körperlichen Zwangs, bleibt der zuvor erklärte Widerspruch dennoch wirksam. Blaue Flecke und eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte sollten nicht riskiert werden.